Dienstag, 14. Dezember 2010

(11) ATMEN OHNE ATMEN - ODER: VOM ZWERCHFELL

Hi - geneigte/r leser/in -
ich hoffe, du hast im spiel mit "SIFU PEZZIBALL" (siehe den letzten POST) möglichst viele lustige und lehrsame sensorische erfahrungen sammeln können. Im vorliegenden beitrag möchte ich dich auf dem weg zur weiteren "verinnerung" begleiten.

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ZWERCHFELL IN EINATEMPOSITION

Es geht um die prozesse, die es deiner empfindungs-achtsamkeit gestatten, deine unterbauch-region zu einem runden, elastischen ball zu formen, um von dort aus als ganzes wie ein riesen PEZZIBALL zu agieren. Auf taiji-fachchinesisch heißt das: "DAS QI SINKT IN DAS DANTIAN" {FN-1}.

Aber bevor wir jetzt "konfusianische" begriffshuberei betreiben oder irgendeinen "zinoba machen" (FN-2) - bleib heiter und lies die folgende kleine daoistische anekdote. Der amerikanische taijiler Robert Chuckrow gibt sie  in seinem sehr interessanten buch "TAI CHI DYNAMICS" zum besten:

"Als ich mitte der 70er jahre bei William C.C. Chen lernte, kam ich oft frühzeitig zum aufwärmen und dehnen. Eines tages kam ich in das studio, das völlig leer war - bis auf einen älteren chinesischen herrn, der in der mitte des raumes stand. Ich erkannte sofort, dass es sich um T.T. Liang handelte. Ich sagte hallo und nach einer weile näherte ich mich ihm und sagte: ‚Darf ich euch eine frage stellen?’. Er verscheuchte mich mit den worten: ‚Ich bin außer dienst’. Ich sagte: ‚Die frage betrifft qi’. ‚Was ist qi?’, antwortete er. Ich tat mein bestes, ihm eine antwort zu geben, obwohl ich realisierte, dass er mit mir spielte. Als nächstes sagte er zu mir: ‚Leg deine hände an meine taille’. Er expandierte stark seinen gesamten taillenbereich – vorne, hinten und seitlich. Dann sagte er: ‚Lern das’ und ging fort"{FN-2}

abb-2

Chuckrow geht mit einer frage im kopf schwanger. Und der für seine schalkhaftigkeit berühmte T.T.Liang antwortet ihm ohne ein einziges wort. Er lässt es ihn im wahrsten sinn des wortes mit händen greifen. Aber was zeigt er ihm da? Will er ihm etwas über seine atmung mitteilen? Jein, ja und nein. Atmen kann Chuckrow schon selber - als ehemaliger schüler bei Zheng Manqing und nun bei William C.C. Chen ist dieser überdies kein blutiger anfänger mehr. Außerdem hätte ihm T.T. Liang vermutlich die hände auf brustbein und den nabelbereich gelegt, wenn es um die ersten anfänge der tiefatmung gegangen wäre. Nein, er lässt den lästigen frager die hände an seine taille legen.
Das ist der bereich, wo du bei dir selber oder bei anderen die bewegung deines ZWERCHFELLS spüren kannst. Obzwar es der flächenmäßig größte muskel in unserem körper ist, besteht nämlich das problem, dass du seine bewegung nicht direkt spüren kannst. Spüren kannst du nur seine wirkung auf die rippen und die eingeweide.

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ZWERCHFELL+EINGEWEIDE+ "DANTIAN" (gelb)

Aber warum machst du nicht gleich ein paar übungen zum erspüren deiner zwerchfellbewegungen? 


ÜBUNGEN ZWERCHFELLBEWEGLICHKEIT
Du kannst diese spürübungen allein machen oder mit deinen übungspartnern. Im letzten fall stellst du dich hinter deinen partner. Schulterbreit, aufrecht und relaxt stehend - klar, oder? Und die hände am besten mit geöffneten "tigermäulern"  unter den brustkasten legen, daumen hinten und finger vorne. 
Du kannst verschiedenes ausprobieren. Ich nenne nur einige beispiele:

1. LUFTBALLON
Blase einen imaginären LUFTBALLON auf mit einem möglichst offenen, vollen, fauchenden "FFFFFFFFFFF" und setz ruhig mehrfach an; die wenigsten blasen einen luftballon mit einem atemzug auf. Anschließend kannst du die luft dann wieder rauslassen mit verschiedenen "PFFFFFFFFFFFFFFFFF"  bis zu einem schrillen "PFÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜT"



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ZWERCHFELL - "wie ein Kolben im Zylinder eines Motors" (Kurt Tittel)

2. DAMPFLOK
Kannst du dir eine DAMPFLOKOMOTIVE noch vorstellen? Ahme nach, wenn so eine lok anfährt und schließlich in fahrt kommt: "SCH! z! SCH! z! SCH! SCH! SCH! SCH! SCH! SCH! SCH! SCH! SCH!" usf.

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ZWERCHFELL VON UNTEN
"TRAMPOLIN"


3. TRAMPOLIN
Die folgende übung ist wie lachen "HA! HA! HA! HA! HA! HA! HA!"
Aber sie hat noch eine spezielle komponente. Von der logopädin Ulrike Pramendorfer wird diese übung als "TRAMPOLINÜBUNG" bezeichnet: 
"Sprechen Sie 'ha, ha, ha' ein paar Mal hintereinander und stelle Sie sich vor, Ihr Zwerchfell ist ein Trampolin. Die Silben treffen auf das Trampolin und federn nach oben. Vorsicht - diese Übung kann Lachen auslösen" {FN-3}

Sind doch tatsächlich ganz lustig - solche zwerchfellübungen!? Und zwerchfellbeweglichkeit löst spannungen, aber schlafft dich nicht ab, sondern gibt energie. Whow! 

WEITERFÜHRENDE FRAGEN

Setze stillschweigend mal voraus, dass du die bewegung deines zwerchfells hast spüren können. Andernfalls solltest du die übungen gleich noch mal machen. Außerdem - mit verlaub, das soll wirklich nicht arrogant klingen - solltest du dir überlegen, ob du auf diesem BLOG überhaupt richtig bist. Also ich ich will dich nicht wegschicken - "es gibt keine geheimnisse" - aber hier gibt's nix zu lesen - es sei denn für deinen körper.

  • War außer der zwerchfellbewegung noch was zu spüren - in deinem unterbauch? Beim LUFTBALLON aufblasen etwa das gefühl einer weichen fülle? Hast du beim zwischenluftholen dieses prall-weiche gefühl bewahren können? Erinnert dich das nicht an die übungen mit dem PEZZIBALL im letzten POST?
Ich sag jetzt mal ebenso undogmatisch wie bestimmt, wenn du da gar nix gespürt hast, brauchst du dich dafür, was "qi" ist oder nicht ist, oder was das "dantian" ist - nicht zu kümmern, vom "sinken des qi zum dantian" gar nicht zu reden. Aber ich setze natürlich auch an dieser stelle voraus, dass bei dir da schon eine gewisse präsenz vorhanden ist {FN-4}
  • Darum die nächste frage: Ist dir bei der DAMPFLOK-, spätestens aber bei der TRAMPOLINÜBUNG noch was weiteres aufgefallen? Hast du da eigentlich überhaupt "luft holen" müssen oder die ganze zeit irgendwie  "luft gehabt"? War sie einfach da oder musstest du sie extra holen?

  • Wenn dir da mühelosigkeit nicht gleich gelingt {FN-5}: Probier doch noch ein bissel weiter - spielerisch, ohne stress :-). Nimm z.B. eine hand von der taille weg, und wenn du "SCH!" machst oder "HA!", schließe die finger, wie wenn du einen softball drücken würdest und am ende der silbe oder des geräusches - da wo das "!" steht - öffnest du die hand für den bruchteil einer sekunde. Und bei der sofort folgenden silbe krümmst du die finger wieder und drückst den imaginären softball. 

EIGENSTÄNDIGE, ABER KOORDINIERTE VORGÄNGE


Worauf ich hier hinauswill: Die obigen zwerchfell-übungen sind super geeignet, dich die bewegung deines zwerchfells mit händen spüren zu lassen. Außerdem hat sich auch deiner empfindungs-achtsamkeit was erschlossen. 
Darüber hinaus kannst du mit denselben übungen, auch noch einen SPEZIELLEN GEBRAUCH DEINES ZWERCHFELLS erfahren, der über die bloße atemfunktion hinausgeht. 
  • Für sänger/blasmusiker/sprecher sind dieselben übungen ein guter einstieg, um  in ihrem unterbauch eine TECHNIK wie das appogio/support/"stütze" zu fundieren.
  • Sogar die sogenannte "reflektorische atemergänzung" ("abspannen") kannst du damit finden. Sie baut darauf auf, dass du das ZWERCHFELL (etwa bei der dampflok- oder der trampolinübung) GESUNKEN BEHÄLTST. Bei jeder silbe entweicht ja ein bissel luft, so dass bei deinem zwerchfell ein zug nach oben entsteht, weil es beim ausatmen normalerweise wieder nach oben will. Nach der silbe entspannt das zwerchfell wieder innerhalb von 0,2 sekunden (!) und geht in die einatemposition zurück nach unten - was dir wieder genausoviel luft schenkt wie du vorher abgegeben hast {FN-6} 
  • Oder etwa die zirkularatmung für das didgeridoooooooooooooooooooO
Super - oder? Auch das ist WEI WU WEI, nämlich hier ATMEN OHNE ATMEN, du atmest nicht, sondern ES ATMET DICH! 

Wenn du dich jetzt fragst, was eine technik für sänger und musiker mit taiji und push hands zu tun hat, dann hast du den kleinen in edel-lackierten kästchen denkenden "konfusianer" in dir noch immer nicht besiegt. Darum hör dir schnell wieder eine anekdote an, nein sogar zwei. 

In der anekdoten-sammlung der familie Yang wird erzählt,
  • wie der gründervater Yang Luchan LAUT AUFLACHEND einen herausforderer allein mit der kraft seines bauches zu boden geworfen habe. 
  • Und von seinem sohn Yang Shaohou hört man, sein fajin sei von einem plötzlichen, LACHEN begleitet gewesen. Und da er ein mann war, der eigentlich nie lachte, wurde dieses lachen auch als höhnisch und finster beschrieben.


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YANG SHAOHOU

Also um den faden wieder aufzugreifen - es geht nicht um lachen, und die alten meister ham ihre gegner nicht etwa weggelacht. Das würde ihnen nur so bei dem einen oder anderen gelingen, der sich heute "taiji-meister" nennt.

Es geht auch nicht um atmen. Weiter oben habe ich das ja schon bei der anekdote von Robert Chuckrow über seine begegnung mit T.T. Liang betont. 

Nicht wenige missverständnisse im zusammenhang mit atem/kraft/qi/dantian resultieren aus dem missverständnis, dass alles undifferenziert mit atmung identifiziert wird. Erschwerend kommt noch hinzu, dass das alles irgendwie im dampfenden reistopf des qi-begriffs oder im tigel des unteren dantian vermengt ist. Will sagen: Wenn
  • bestimmte praktiken  aus dem harten qigong ("eisenhemd") oder 
  • der daoistischen meditaton oder inneren alchemie 
  • unreflektiert mit "bauchpresse" kombiniert 
  •  in der inter-aktion (d.h. unter nie ganz kontrollierbaren bedingungen) angewendet werden,
 ist das in der tat nicht ganz ungefährlich!!! 

Darum plädiere ich dafür, erst mal klare unterscheidungen zu treffen. Um danach das so "auseinandergenommene" wieder in neue oder renovierte oder zumindest besser verstandene tradierte bilder sensorischer imagination zusammenzufügen.

Du musst nicht nur bei begriffen aus der chinesischen philosophie und TCM den genauen kontext kennen. Das gilt im zusammenhang mit den NICHT-ATEM-FUNKTIONEN DES ZWERCHFELLS nicht minder.

Zur zentralen rolle des zwerchfells bei der KÖRPERAUFRICHTUNG, BALANCE und BEWEGUNG hier  nur ein zitat:

"Das Zwerchfell ist für die Statik des Körpers enorm wichtig, da es als Hebel zwischen der hinteren und vorderen Schwerkraftslinie des Körpers dient. 
  • Es ist verantwortlich für das Gleichgewicht in Ruhe als auch in Bewegung zwischen der vorderen und hinteren Muskelkette. 
  • Indirekt führt die Kontraktion des Zwerchfells zu einer Abflachung der Wirbelsäulenverkrümmung [lordose]. 
  • Des Weiteren verbindet es die oberen mit den unteren Diaphragmen". {FN-7}
Bitte halte diese aspekte im hinterkopf, um zu verstehen, dass es sich bei der sogenannten "umgekehrten oder paradoxen atmung" beim push hands um was ganz SPEZIFISCHES handelt, das NICHTS, aber auch gar nichts  mit atmung oder irgendwelchen atemtypen oder irgendwelchen atemübungen zu tun hat.
Die konzentration auf die atmung würde die leichtigkeit und flüssigkeit deiner bewegungen ebenso behindern wie der fokus auf das qi - egal ob das im kontext dasselbe ist oder was anderes: "Des ganzen Körpers Aufmerksamkeit richtet sich auf Essenz und Geist. Sie richtet sich nicht auf das qi. Richtet sie sich auf das qi, dann kommt es zu Stockungen" (taiji-klassiker, zit. n. Rainer Landmann)

Okay - was hat Robert Chuckrow von T.T. Liang gezeigt bekommen, bevor dieser ihn mit einem knappen und kargen "Lern das!" stehen ließ? Ich wiederhole die entsprechende stelle noch mal, damit du nicht hochscrollen musst:
"Er expandierte stark seinen gesamten taillenbereich – vorne, hinten und seitlich. Dann sagte er: ‚Lern das’ und ging fort"

Merkst du? Es wird NICHTS darüber gesagt, ob T.T. Liang da eingeatmet hat oder ausgeatmet, sondern nur von EXPANSION ist die rede. An dieser stelle ist auch nicht die rede von KOMPRESSION oder FAJIN. Robert Chuckrow meint, er habe ihm das absenken des zwerchfells bei der umgekehrten atmung gezeigt. Oder hat er ihm gezeigt, was es mit dem "sinken des qi zum dantian" im kontext auf sich hat? Is ja auch egal - oder? Der kontext ist jedenfalls push hands - und nicht qigong oder meditation oder TCM!

Weiter unten habe ich aufgeführt, für was es nützlich ist beim push hands spielen. Guck dir hier aber erst an, was mit dem zwerchfell  passiert. Robert Chuckrow kommt das verdienst zu, die bewegung des zwerchfells in einem vereinfachten modell dargestellt zu haben, dem ich hier folge:

Bei der normalen vollumfänglichen zwerchfell-flankenatmung sieht die zwerchfellbewegung bei der einatmung etwa so aus:

abb-7
ZWERCHFELL EINATEMPOSITION "NORMAL" + "PARADOX"
Nach unseren bisherigen übungen hast du ja schon so viel erfahrung, dass du diese bewegung (pfeile) und endposition (bogen) sogar schon ohne handauflegen spüren kannst - nicht zuletzt an deinem prall-weichen gefühl im unterbauch. 

Mach dir bitte klar, dass nur der vollumfängliche gebrauch deines zwerchfells - sieh dir noch mal abb-5 an - bei der einatmung zu einer rundherum-expansion im taillenbereich führt: also HINTEN-SEITLICH-VORN.
Wenn du  tiefatmung einfach auf "bauchatmung" reduzierst, atmest du nicht optimal. Das ist, wie wenn du ein oder zwei federn aus der aufhängung eines minitrampolins ausleiern oder ganz aushängen würdest.


Damit dein "dantian" zu einem elastischen ball werden kann, bedarf es nämlich des zusammenspiels zwischen zwerchfell, beckenboden, einer gewissen weitung im ledenwirbel- und kreuzbeinbereich, sowie eben einer straffen, obzwar nicht angespannten, bauchdecke (s. abb-8).


abb-8
Hier spielen zwerchfell (gelb), beckenboden (rot) und
bauch  (grün) noch nicht optimal zusammen

Den bauch sollst du nicht einziehen, sondern loslassen. Aber du sollst ihn genausowenig forciert rausdrücken, ebensowenig einfach raushängen lassen. Klingt irgendwie mal wieder nach paradoxen anforderungen - nicht wahr?

Die folgende kleine übung kann dir da etwas weiterhelfen.

ÜBUNG: "SCHWIMMRING"
Stell dir vor du hättest einen schwimmring um die taille und das ventil zum aufblasen ist hinten in der gegend deines mingmen (zw. 2. + 3. lendenwirbel). Ja, und nun "blas" halt mal und senke das gesamte zwerchfell. "Fülle" bzw fühle deinen unterbauch bis du es über dem schambein spürst.

Das zweite geheimnis nämlich lautet PYRAMIDEN-MUSKEL (pyramidalis) mit dessen hilfe sich über deinem schambein (pubis) so eine art feinjustierung vornehmen lässt, weil er die senkrechte bindegewebsnaht in der mitte des bauches (linea alba) spannt. Da verläuft bekanntlich auch der renmai-sondermeridian. Der pyramidalis fungiert wie der feinstimmer am saitenhalter einer violine. {FN-8}

abb-9
Den pyramidalis findest du links unten (rot) über dem pubis

So viel aufhebens um dieses winzige müskelchen mach ich hier darum, weil sein richtiger gebrauch den unterschied zwischen "normaler" einatmung und "umgekehrter" einatmung nivelliert, soweit es den push hands-kontext betrifft.

Der entscheidende unterschied zwischen normaler atmung und sogenannter "paradoxer" besteht bei der ausatmung. Im normalfall entspannt das zwerchfell bei der ausatmung nach oben (vgl. abb. 10).


abb-10
ZWERCHFELL AUSATEMPOSITION "NORMAL"

Im "paradoxen" fall wird das zwerchfell - du hast es oben ja schon ein bissel mit "HA! HA! HA!" angetestet - in geweiteter einatemposition unten gehalten, solange du das brauchst. Das heißt bei der reflektorischen atemergänzung,
  • wird die sehnige mitte des zwerchfells  gegen den widerstand der tief- und weitstellung nach oben in richtung ausatemposition "gesogen" (z.B. durch das "HA") und 
  • federt zugleich wieder nach unten in die flachere einatemposition zurück, 
  • wobei es ein klein wenig luft einströmen lässt (das hab ich jeweils mit "!" markiert)
  • Und dieser vorgang dauert ganze 0,2 sekunden. Das ist der besagte trampolineffekt (vgl abb-11 + 10).

abb-11
ZWERCHFELL AUSATEMPOSITION "PARADOX"

Aus dem folgenden grund ist das abspannen sehr nützlich: Wenn du nämlich in der abgesenkten zwerchfellposition zu lange und zu viel ausatmest, wirst du erst dicht, dann hart - und verlierst die durchlässigkeit und elastizität usw. Deswegen musst du zwischendurch abspannen. Eine volle einatmung kannst du dir häufig nicht leisten, weil du genau dann gepusht wirst (oder ausgeknockt). Chen Yenlin nennt das "kleines atmen" {FN-9}

Wohlgemerkt eigentlich handelt es sich hier nicht um atmung, sondern um einen SPEZIELLEN TECHNISCHEN GEBRAUCH der zwerchfellfunktionalität, um einen eigenständigen prozess, der sich eben des  atemmuskels anders, wirklich anders, bedient.

Wenn du mit den NICHT-ATEM-FUNKTIONEN deines zwerchfells ein wenig erfahrung gesammelt hast - kannst du deine atmung beim push hands vergessen wie beim essen: WEI WU WEI. Und hast trotzdem luft. Was dir anzuraten ist beim push hands. Und beim wirklichen kämpfen sowieso dringend geboten ist.

Also: Kein rumgeschnaufe mehr,  keine rote birne, echte mühelosigkeit eben - nur manchmal ein fast stummes "hm" und "ha" und viel, viel gelächter - beim pushen und beim gepusht-werden :-)

Selbstredend ist es dann auch völlig egal, was für ein "atemtyp" du sein magst.

UND WOFÜR DAS "LERN DAS!" GUT IST

Im POST #9 habe ich ja (im anschluss an Huang/Kelly) versucht, ein paar relevante qualitäten zu beschreiben, die du im zusammenhang mit kontakt, expansion und extension, sinken, kompression und energieabgabe benötigst. Wohlgemerkt, das sind prozesserfordernisse (!), die nicht deinem belieben unterliegen, sondern umgekehrt sind es anforderungen an dich, denen du mit deinen individuellen stärken und schwächen begegnest.

(1) HERAUSREICHENDER KONTAKT (EXPANSION+EXTENSION)
Atemtechnisch wäre hier z.B. die gelegenheit für eine ganz normale vollen einatmung mit raumgreifender, kontaktsuchender und bejahender qualität.


(2) SINKEN
Je nach situation - und vielleicht auch "atemtyp" - wirst du hierbei entweder in geweiteter, abgesenkter zwerchfellposition ausatmen.

Oder - wie von mir in POST #9 beschrieben und so auch praktiziert - deinen gesamten rücken dehnend weiter einatmen. In letzterem fall ist es allerdings wichtig, dass du mehr dein zwerchfell betätigst als furchtbar viel einatmest (maximal 50-75% - s. ein paar zeilen tiefer).
  • Außer dem dehnenden und leitenden effekt der zwerchfell-aktion auf den rücken steht beim sinken natürlich 
  • die verbindende und verankernde funktion des zwerchfells im mittelpunkt: Es verbindet deinen brustkasten mit dem becken, sicher im zusammenspiel etwa mit den lendenmuskeln (quadratus lumborum, s. oben abb-5). Aber es ist ein unterschied, ob dieser das alleine macht und dich hart macht oder das zwerchfell die aktion führt. Im ergebnis schafft das zwerchfell unten im bauch die tragfähige basis, dass du deinen brustkasten drauf absetzen kannst. Aber darüber im nächsten POST mehr.
Da du häufig - je nach deinem entwicklungsstand und dem deiner übungspartner - die SEQUENZ KONTAKT-SINKEN-KOMPRESSION-ENERGIEABGABE-ERDUNG nicht in reinform durchläufst - wirst du in der praxis diese reihe immer wieder abbrechen und je nach bedarf an irgendeiner phase neu ansetzen. Häufig ist es allerdings zweckmäßig, längere zeit gesunken zu bleiben.

A propos zeitdauer - check mal die dauer der sequenzen, wo dein sinken ohne unterbrechung erforderlich ist, bevor ein neuer zyklus der bewegung startet. Nach meiner erfahrung handelt es sich um perioden von wenigen sekunden bis deutlich unter 60 sekunden, in denen das "kleine atmen" (Chen Yenlin) oder eben die tiefstellung des zwerchfells mit reflektorischer atemergänzung nötig ist.


abb aus POST #9
Mit der horizontalen spirale ist das zwerchfell angedeutet -
es ist wie das fell einer trommel oder eines  trampolins

(3) KOMPRESSION
Okay, dann die kompression. Hat dir eigentlich jemals jemand plausibel machen können, warum in der kompressionsphase  ausgerechnet das modell der "bauchpresse"  aus dem kraftsport und den harten kampfkünsten - wo du zusätzlich oben die kehle (genauer die glottis) zumachst - ein taugliches modell sein soll, für das was beim push hands spielen passiert? Wo es doch AUCH in dieser phase - bei unserer KUNST OHNE ANSTRENGUNG ebenso wie bei der anschließenden energieabgabe - um einen mühelosen prozess gehen soll!?

Nach meiner ansicht verlierst du bei der "bauchpresse" außer leichtigkeit und gewandtheit deiner bewegungen auch deine sensitivität - die fähigkeit zu hören (ting jin) - dein gefühl für rhythmus und timing usw. Ähnlich äußert sich übrigens überraschenderweise der amerikanische sambo-champion und trainer u.a. von MMA/ultimate fightern Scott Sonnon {FN-10}

Im gegensatz zum bauchpressen-modell mit geschlossener glottis stellen gute sänger und bläser unter beweis, dass man mit der von ihnen praktizierten support-technik hochleistung mit sensitivität und kreativität, mit fingerspitzengefühl und geläufigkeit, rhythmus und timing vereinbaren kann. Wenn du das nicht glaubst, dann guck dir mal das explosive energie-spiel etwa eines freejazz-saxofonisten an. Da ist kein atmen, nur der atem der musik und dir raubt es den atem schon beim zuhören.

Aber selbst wenn du am modell der bauchpresse aus dem kraftsport festhalten willst - und fraglos gibt es immer mal "notfälle" (wo du was falsch machst oder aber wirklich im alltag was schweres heben oder anschieben musst), so höre, was ein intelligenter kraftsportler bezüglich der bauchpresse sagt:

"Östliche kampfkunst-meister glauben allgemein, dass du am stärksten bist, wenn du die hälfte deiner luft aus den lungen ausgestoßen hast. Russische forschungen haben ergeben, dass 75% ideal sind für kraft. Du brauchst dich um exakte prozentzahlen nicht zu kümmern. Merke dir lediglich, nie voll aus- oder einzuatmen" (Pavel Tsatsouline)


Wenn du die von mir präsentierte reflektorische atemergänzung praktizierst - benötigst du eher noch weniger als 50% luftvorrat, weil dieser sich ja ständig durch das abspannen von selbst ergänzt. Und du behältst die ganze zeit dein dantian präsent.
"Übe beim einatmen gerade so viel druck aus, dass es reicht, dein dantian zu einem runden ball zu formen", schreibt Waysun Liao in seinem kommentar zu den taiji-klassikern. Und dann vergiss das atmen, könnte man ergänzen, und lass es atmen.


(4) ABGABE - FAJIN
In POST #9 habe ich dargelegt - allerdings terminologisch noch nicht ganz so klar - , dass ich das "DANTIAN" nur als TRIGGER FÜR DIE JIN-ELASTIZITÄTSKRAFT empfinde.

Die elastizitätskraft selber wurzelt ja bekanntlich in den füßen, wird durch die beine geschickt, durch die hüften kontrolliert und manifestiert sich in den fingern:

"Dein ausatem [gemeint: "HA"] spielt hier eine rolle wie das werfen der münze auf die trommel .... Oder wie der sprung in ein trampolin. Und dann macht es "PANG", wenn die spannung des trommelfells die entsprechende qualität hat... Diese expansionswelle ihrerseits, die sich vom dantian in alle richtungen ausbreitet, löst an den füßen die BODENREAKTIONSKRAFT aus"  

Während meiner kursleiterausbildung vor 15 jahren demonstrierte Wilhelm Mertens folgendes experiment: 

  • Zuerst legte er eine münze auf das hart gespannte fell einer conga und schlug auf das fell: Die münze hüpfte in einem bogen zu boden.
  • Dann blies er eine plastiktüte auf, hielt sie mit einer hand zu und legte die münze auf die noch recht labbelige hülle. Rate, was passierte als er anschließend auf die tüte schlug? --- Die münze schoß hoch bis an die decke der halle. PANG! WHOW!!!
Das fand ich überaus beeindruckend, wusste es aber noch nicht in seiner körperlichen konsequenz zu verstehen. Heute tu ich es. Und du kannst es nach der KÖRPERLICHEN LEKTÜRE dieses beitrags auch - oder?

Die fünfte phase lasse ich jetzt mal weg, weil sich die phase der erdung und harmonisierung ja ganz schnell wieder richtung herausreichendem kontakt und sinken wandelt. Hier wäre auch wieder gelegenheit für eine ganz normale tiefatmung. 




FAZIT
Es muss so 2003 oder 2004 gewesen sein, als mir eine kursteilnehmerin - sie war von beruf logopädin - das erste mal den unterschied zwischen "lunaren und solaren atemtypen" erklärt und mich befragt hat, was das für das taiji bedeute. Als schüler eines großartigen lehrers hatte ich ihr damals geantwortet - ich weiß noch jedes wort:
"Ob einatmen oder ausatmen, die hauptsache, du hast deinen bauch präsent"

Selbstverständlich hab ich seitdem auf meiner taijireise tolle fortschritte gemacht - gerade das letzte jahr war phantastisch, will nicht sagen "atemberaubend" - und ich kann an dieser präsenz meines bauches heute auf einem anderen niveau arbeiten als damals.
Dennoch könnte meine damalige antwort auch das resumé dieses beitrags sein {FN-11}
IN DER 
MITTE DES BALLES
NICHTS - ABER NÜTZLICH
DAS  ZWERCHFELL GIBT ES
DOCH DU SPÜRST ES NICHT
DAS DANTIAN GIBT ES NICHT
ABER DU FÜHLST ES: EMPFIN-
DUNGSACHTSAMKEIT 
IST ALLES


abb-12

(c) os 12/2010 - 1/2011

FUSSNOTEN
FN-1: Im original lautet dieses "TAIJI-PRINZIP" übrigens: "Leere und Wendigkeit, die Jin-Kraft des Scheitelpunkts./ Das qi sinkt in das dantian./ Nicht neigen, nicht lehnen" (zit. nach Rainer Landmann)
FN-2: Vgl. http://www.ostarrichi.org/begriff-15446-at-Zinnober.html
FN-2: Robert Chuckrow, TAI CHI DYNAMICS, Boston 2008 (übers. os)
FN-3: Ulrike Pramendorfer, Phonetics - Vitalität durch Zwerchfelltraining, Linz 2006
FN-4: Allerdings ist nicht jeder vorne rausgedrückte blähbauch auch ein ball wie er hier gemeint ist.
FN-5: ... so brauchst du dich jetzt nicht gleich für einen "lunaren einatmer" halten und dich bei "meister" Frieder Anders "authentischem" einatmer-taiji anmelden.
FN-6: Vgl. http://logopaediewiki.de/wiki/Abspannen. Vgl. auch den artikel von David L. Jones, "Atmung und Stütze: Zwei eigenständige aber koordinierte Vorgänge beim Singen", dem sich die überschrift dieses abschnitts verdankt: http://www.gesanglehrer.de/de/jones/Atmung-Stuetze.PDF
FN-7: Gaby Massaro, Die Bedeutung des Diaphragmas in der Craniosacralen Osteopathie(Diplomarbeit),2007: http://www.cranioschule.ch/cranio/data/data%20Schuleintern/diplom07/massaro_diaphragma.pdf
FN-8 http://de.wikipedia.org/wiki/Musculus_pyramidalis Angeblich ist dieser kleine, feine muskel bei 18% der menschen gar nicht vorhanden - glaube eher mangels gebrauch zurückgebildet und nicht zu finden.
Vgl. zum pyramidalis auch Benita Cantieni, Tiger-Feeling. Das sinnliche Beckenbodentraining für sie und ihn, 2003. Albträume manchmal von dem tag, wo ein cleverer "authentischer taiji-meister" pyramidalis-spezifisches taiji propagieren wird - und wache von meinem eigenen lachen auf. Solche albträume lob ich mir :-)).

FN-9 Den text von Chen Yenlin über atmen im taiji findest du unter: http://www.nztaichi.com/taichi/breathing.htm. Chen Yenlin war sowas wie der Julian Assange der taijiwelt. Anfang der 30-er jahre des letzten jahrhunderts hat er über nacht die geheimen trainingspapiere der Yang-familie abgekupfert und 1932 veröffentlicht. Damit hat er alle großen taiji-familien unter zugzwang gebracht, sodass die auch publizieren mussten. Viel was dir so der eine oder andere "meister" erzählt, hat der keinesfalls von seinem "meister" "von herz zu herz" tradiert gekriegt, sondern einfach bei Chen Yenlin gelesen. Heute wird das material von Stuart Olson kapitelweise (!) auf den markt gebracht, was ich scheiße finde.
FN-10 Sonnon - einer der wirklich was von begegnungen der härteren art versteht,  plädiert sogar dafür, dass sich die entscheidenden konfrontationen in der nach dem ausatmen verlängerten atempause abspielen sollten, was sich in der praxis ohne weiteres mit reflektorischer atemergänzung kombinieren lässt. Vor lauter erörterung von zwerchfell-positionen hast du hoffentlich nicht vergessen, dass er dreifach ist, der natürliche atem: EIN-AUS-PAUSE (vgl. u.a. Ilse Middendorf, Der erfahrbare Atem).
FN-11 Widme diese zeilen über ATMEN OHNE ATMEN meinem an pleuramesotheliom vor vielen jahren verstorbenen vater.


ABBILDUNGEN
abb-1+3+7+8+10+11+12  (c) os 12/2010
abb-2: buchtitel quelle: amazon
abb-4: http:// EUSKALANATO www.fl ickr.com/photos/17657816@N05/1971037849/in/photostream/  
abb-5+9: WIKIMEDIA COMMONS (GRAY, ANATOMY)
abb-6: http://www.yangfamilytaichi.com/yang/history/images/yang-shao-hou.jpg

PS: Übrigends sehr empfehlenswert:
http://www.innere-kraft-64.de/

Dienstag, 3. August 2010

(10) "SIFU PEZZIBALL"

Unter den siegeln des "geheimen", "alten" und "raren" wird  heutzutage eine wachsende anzahl von übungsformen der arbeit mit dem taiji-ball verbreitet.

Zumeist werden diese "ball"-übungen - sofern man darunter nicht den neuesten hype einer art chinesischen federballs versteht - mit basketballgroßen kugeln ausgeführt. Deren konsistenz reicht tatsächlich vom luftgefüllten, sehr prall-festen basketball über den mit unterschiedlichen materialien gefüllten medizinball bis hin zu massiven kugeln  aus holz, stein und eisen. Einen kurzen überblick mitsamt hinweisen auf ein paar videoclips findest du unter http://www.innere-kraft-64.de/tai_chi_ball.htm.

Diese übungsformen haben sicher ihre berechtigung hinsichtlich verschiedener teilaspekte des push hands,  die vom funktionellen krafttraining bis zum austrainieren push hands-spezifischer fähigkeiten alles mögliche umfassen mögen.

Aber verstellen sie nicht den blick auf das wesentliche? Nämlich, dass DAS TAIJI selber 3-dimensional ist und damit ein ball? Und dass die gesamte kunst des taijiquan letztlich mit dem ziel trainiert wird, in der  interaktion EIN ELASTISCHER TAIJI-BALL zu SEIN? (vgl. Jou Tsung Hwa, The Tao of Tai Chi Chuan, sowie hier: FUSSNOTE)

abb. 1

Es stellt sich die frage, ob die großen elastischen gymnastik-, physio- oder pezzibälle, die aus dem heutigen gesundheitssport nicht mehr wegzudenken sind, diesem ganzheitlichen anspruch nicht eher gerecht werden als jene kleinen schweren und wenig elastischen kugeln? 

Eine google- oder youtube-recherche, stützt die these, dass diese hier bei uns weitverbreiteten und  sehr preiswerten  trainingsgeräte in der taiji-szene noch nicht genügend gewürdigt werden. Hier die beiden einzigen - nicht sehr überzeugenden - beispiele, die ich in youtube gefunden habe:  http://www.youtube.com/watch?v=pAnyeNRsozg, sowie http://www.youtube.com/watch?v=tclEl96d4xw

Es ist ja keine seltenheit, dass das, "was nahe (herum)liegt", übersehen und unterschätzt wird. 

Bestenfalls erscheint der wert der gymnastikbälle - auch bei kreativen taiji-lehrern - didaktisch-methodisch auf den allerersten anfänger-unterricht verkürzt und beschränkt . 

Hält nicht SIFU PEZZIBALL  auch für fortgeschrittere taiji-eleven noch manche "sensation" (sinneseindruck) in sachen balance, power und flow bereit? Für das zhan zhuang, die form ebenso wie für das push hands-training? 

Um all diese fragen zu beantworten, musst du nicht noch eine weitere form lernen! Du musst dich stattdessen "nur" (!)  auf das ding selbst einlassen und es mit "antennigem verhalten" (Heinrich Jacoby) im spielerischen umgang erforschen.



ÜBUNG I   

Leg dich zum entspannen doch mal bäuchlings auf einen jener großen pezzibälle. Wenn er nicht ganz prall aufgeblasen ist, um so besser. Lass einfach arme, beine und kopf hängen.
Abhängen ... Erst lang genug entspannen..., dann achtsam fühlen..., dann wieder zu sich kommen ...


abb. 2


Und? Ist doch schön - oder?
  • Kannst du diese besondere art des getragen-seins genießen?  Dieses fließende, weiche, unsubstanziell-substanzielle, das erst, indem du es durch dein gewicht zusammendrückst, dich seine verborgene kraft spüren lässt?
  • Ob dich diese schwellende kraft stützt oder herabfallen lässt ist dem ball so egal wie dem wasser, welches das boot trägt oder verschluckt.
  • Kannst du die druckwellen in dem ball spüren? Musst du dir nicht - durch die bauchlage bedingt - "nachdrücklicher" mit dem atem platz schaffen und bewusster bauch und flanken einsetzen beim atmen?
  • Verschafft dir die bauchlage auf dem ball nicht außerdem ein gefühl der weitung im rücken? Insbesondere beim atmen? Eine ausweitung des atems, die - je nachdem ob du auf dem ball ein klein wenig vor oder zurückrollst -  mehr im oberen, mittleren oder unteren rücken zu spüren ist?
Falls du dir beim AUSPROBIERENDEN LESEN des letzten BLOGbeitrags (vgl. http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/9-kontakt-pang.html) die frage gestellt haben solltest: Wie kann ich es lernen, in den rücken zu atmen? Hier hast du die antwort!
Aber du weißt ja: Du bekommst immer nur die fragen beantwortet, die du dir auch selber stellst.

ÜBUNG II   

Nach dem liegen kannst du es sogleich im stehen ausprobieren - in einer deiner zhan zhuang-stellungen (abb. 3).
  • Jetzt stellst du dir nicht nur vor, einen ball vor dem leib zu halten - du TUST es tatsächlich. Du versuchst dabei deinen leib so weitgehend wie irgend möglich der elastischen rundheit des großen balls anzuschmiegen... 
  • Wie spricht die luftig pralle elastizität des balles deine sensorik und deine propriozeption an? Sind deine bisherigen ball-halte-imaginationen mit deinem jetzigen empfinden identisch? 
  • Oder spürst du vielleicht plastischer? In deinem empfinden selbst räumlicher und 3-dimensionaler geworden? 
  • Werden regionen noch einmal ganz anders präsent als sonst? Dein kreuzbeinbereich etwa? Der bereich zwischen deinen schulterblättern? Oder vorne der bereich der kleinen brustmuskeln? Oder die leistenregion? Auch der berühmte vordere sägemuskel müsste dir zugänglich werden, ebenso wie der breite rückenmuskel, sowie der trapezmuskel usw. usf.


abb. 3
  
BALANCE, POWER & FLOW

Hat dich SIFU PEZZIBALL bereits ein wenig neugierig gemacht auf seine unnachahmlichen fähigkeiten zu lehren und deine push hand-qualitäten zu entwickeln? Im weiteren wirst du von ihm noch mehr er-fahren bezüglich ENTSPANNTER STABILITÄT (sung),  ELASTIZITÄTSKRAFT (peng jin), tastendes HÖREN (ting jin) und fühlendes KLEBEN (nian jin).

Und sei versichert, die "traditionslinie" von SIFU PEZZIBALL stammt direkt vom großen DAO ab. Kein fake ... ohne scheiß! :-))))

Bevor du dich mit den weiteren übungen beschäftigst, experimentiere doch ein bisschen mit dem gerät als solchem: Setz dich drauf, leg dich, dreh dich, lass dich rollen, lass dich fallen, steh wieder auf, balanciere und fließe ...

Wenn du noch weitere "appetitanreger" benötigst, so schau dir einen meiner lieblingsclips zu diesem thema an, wo du tanz, yoga, capoeira, taiji u.v.m. im spiel mit dem ball vereint findest (Body Juggling Principles): http://www.youtube.com/watch?v=R1XW77kVLz0.
Und falls du ein bissel "militanter" gesonnen bist, guck dir gleich noch das folgende beispiel aus dem brasilianischen jiujitsu-training an (Stability ball for jiu jitsu): http://www.youtube.com/watch?v=_cNvpIamQOE

Und hör dir an, was die jungs so erzählen. Eigentlich schade, dass man bislang von taijilern nicht ähnlich differenzierte expressionen zum thema physioball gesehen und vernommen hat, wo sich doch unsere kunst von der ineinander gezwirbelten polarität der yin-yang-blase ableitet ...

Lass dich  nicht davon abhalten, solche tollen "moves" auch mal selber auszuprobieren. Du brauchst nur ein paar wenige quadratmeter platz - und - wichtig! - räum alles aus dem weg, was scharfe kanten hat! ;-)

Ansonsten keine sorge: Wenn du den hier vorgestellten übungen folgst, musst du nicht kopf und kragen riskieren, sondern nur vorgestanzte vorstellungen und einbildungen. Wir fahren nämlich fort mit einer übung, die so oder ähnlich u.a. auch in der schwangerschaftsgymnastik praktiziert wird.

ÜBUNG III    

Du sitzt auf dem gymnastikball, füße stehen auf dem boden, parallel und schulterbreit.

(1) Nimm kontakt zu deinen sitzbeinhöckern auf. 
Wenn's dir schwer fällt, so taste einfach die rückseite der oberschenkel aufwärts bis zu unter deiner sitzfläche einen knochen spürst.
(a) Kreise um den einen sitzbeinhöcker, dann um den anderen.
(b) "Male" liegende 8-en mit beiden sitzbeinhöckern.

(2) Rolle vor und hinter deine sitzbeinhöcker. 
(a) Wie fühlt sich dein unterer rücken an, wenn du vor deine sitzbeinhöcker rollst?
(b) Und wie fühlt sich derselbe an, wenn du dahinter rollst?
Wann und wo hast du das gefühl von "satter" und "breiter" im unteren rücken?

Vielleicht erinnerst du dich noch an die erörterung zum thema beckenstellung? (s.  http://taijifortwo.blogspot.com/2010/06/6-uber-gunstige-und-ungunstige.html)

(3) Schließlich rolle nach links und rechts
Beobachte z.B. wie weit hoch in der wirbelsäule du deine "moves" spüren kannst.

ÜBUNG IV   

Für die folgenden balanceübungen ist es sehr interessant, wenn du noch ein bissel luft aus dem ball herausnimmst. Am besten du experimentierst mit verschiedenen balldrücken.

Beobachte in den folgenden übungen, was passiert:

(1) ... wenn du das knie eines beins anhebst
... Vergleiche deine beiden sitzbeinhöcker im druck in den ball. Oder wie du dich stabilisierst, je nachdem dein leeres bein wenig oder stark abgespreizt ist. 

(2) ... wenn du beide füße vom boden abhebst
... und dein rumpf, ja dein gesamter körper alle möglichen stabilisierenden bewegungen vollführen muss (s. abb. 4).

Tu das so oft und so lange wie nur irgend möglich. Macht echt spaß! Es stärkt deine innere muskulatur ("the core"), dein balancegefühl - und hält dich wach und beweglich.



abb. 4


TEST   

Steh danach (oder zwischendrin mal) auf, geh ein paar schritte, stell dich in deine zhan zhuang-position oder lauf ein paar bewegungsbilder aus deiner form.

Hast du das üben mit dem ball schon mal vor einem push hands-meeting ausprobiert? Sollte bei wettkämpfen wirklich als "doping" verboten werden sowas :-))))


SIFU PEZZIBALLs LEHRMETHODE: SPIELERISCHE LEICHTIGKEIT & HAPTIK

Ohne den ergebnissen deiner nachforschungen vorgreifen zu wollen, lasse ich mich bei den in Übung IV aufgeführten balanceübungen  jedes mal überraschen, wenn ich wieder boden unter den füßen habe (s.obigen test):

Da habe ich das empfinden, dass mein kreuzbein "einen halben meter" weiter abgesunken ist. Seemanns-feeling pur. Noch deutlicher als nach 30-45 minuten steh-meditation.

Keine frage, das eine kann das andere nicht ersetzen. Aber die ball-"arbeit" lässt dich weitere entwicklungsmöglichkeiten deiner sink-fähigkeiten erahnen. "Arbeit" in gänsefüßchen, denn die lehrmethode von SIFU PEZZIBALL "setzt" auf spielerische leichtigkeit. Das ergebnis: ein leichter und wendiger körper, der steht wie eine ausbalancierte waage und wie ein wagenrad beweglich (vgl. taiji-klassiker, zit.nach Rainer Landmann, Taijiquan).

Ein zweites verblüfft mich immer wieder von neuem:

Habe ich mich auf dem ball sitzend beim balancieren einmal eingependelt und sind meine ausweich- und korrekturbewegungen allmählich kleiner geworden, habe ich das empfinden als würde sich das fließend pralle des balls auf meinen körper übertragen. In einer art haptisch-mimetischem lernprozess scheint mein körper  eigenschaften des balls nachzuahmen. 

Das äußert sich u.a. darin, dass dann spontan das bedürfnis entsteht, meine arme - die vorher beim balancieren mitunter noch heftige ausweichbewegungen vollführten - vor meinem bauch, der brust oder über dem kopf in weitem bogen zu runden - als wollten sie einen imaginären ball halten.

)*(

In der haptischen wahrnehmung werden oberflächen- und tiefensensibilität, haut und propriozeption, integriert. Es werden folgende haptische erkundungsprozeduren unterschieden: (1) überstreichen der oberfläche, (2) drücken, (3) umfassen, (4) konturen nachfahren
(s. zum weiterlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Haptische_Wahrnehmung  und zur vertiefung z.B. Maria-Anna Bäuml-Roßnagl, Leben mit Sinnen und Sinn: www.paed.uni-muenchen.de/~baeuml/Leben_mit_Sinnen.pdf)

Keine frage, dass du erkundungsprozeduren dieser art durchlaufen kannst, wenn du die hier dargestellten übungen ausprobierst.

Stellt sich in der epoche der digitalen virtualität und ihrem primat des visuellen nicht neu die frage nach den medien unserer einbildungskraft? Weg von den visualisierungen (vielleicht auch von den so beliebten tradierten)  und hin zur "haptischen imagination"? Und das bedeutet zunächst und zuerst ein "zurück zu den dingen" (demnächst zu diesem thema vielleicht mehr).

)*(

Von Mike Sigman stammt der geniale vergleich des taiji-körpers mit einem einzeller (vgl. http://www.iay.org.uk/internal-strength/peng-index.htm):

Wenn du den körper als einzelliges tier betrachtest, als eine amöbe z.B., dann wäre peng die kraft des kürzesten wegs durch den zellkern, schreibt Mike Sigman.

Und deine haut wäre dann die expandierende und kontrahierende, öffnende und schließende hülle des einzellers. Beim höher entwickelten tier wie beim menschen besteht die hülle des einzellers aus der synergie von faszien, muskelfasern, sehnen usw. zu einer einheitlichen "decke".

Ist es nicht genau das, wofür SIFU PEZZIBALL steht? Und zwar nicht nur als sichtbares, sondern als tastbares und im wahrsten sinn des wortes "be-sitzbares" modell für PENG.

)*(

Zum abschluss möchte ich zur anregung noch einige übungen im stehen skizzieren:

ÜBUNG V    

(1) Selbstverständlich sind ROLLÜBUNGEN AN DER WAND mit dem gymnastikball naheliegend: Wovon könnte man in sachen rundheit der bewegungen mehr lernen als von einem ball?

Als beispiel kann man übungen anführen wie sie in dem weiter oben zitierten youtube-clip u.a. gezeigt werden: http://www.youtube.com/watch?v=tclEl96d4xw
Und es ist auch ganz erstaunlich, wie sich der ball multifunktional als roll- und punching ball (miß-)brauchen lässt. Aber bei den gezeigten schulter- und ellbogenstößen wollte ich - ehrlich gesagt - nicht erleben, wenn so ein ding mal platzt und einem um die ohren fliegt. Für solche sachen würde ich eher einen box-sack vorziehen. 

Auch bei den rollübungen kommt es natürlich weniger auf die moves selber als auf DAS WIE an.

(2) Wenn du z.B. EINARMIGES PUSH HANDS übst, kannst du dich darin trainieren, selbst beim zurückrollen den kontakt in form eines leichten drucks zu halten und diesen nicht zu verlieren - sonst fällt der ball schlicht zu boden. Das kannst du mit isolierter armkraft machen... Oder MIT PENG & NIAN JIN
  •  indem du vom rücken her expandierst und
  • indem du selbst beim inneren schließen äußerlich den klebenden kontakt bewahrst.

Im sinne der oben dargestellten haptischen nachahmung des balls, kannst du beim üben SELBER EIN BALL WERDEN, der gegen einen anderen ball drückt. Irgendjemand hat mal gesagt, gutes push hands sei das gefühl wie wenn ein gummiball gegen den anderen drückt.

Dein zurückrollen ist dann etwas, was in deinem jeweils gesetzten hüftgelenk (=kugelgelenk) passiert und nicht in deinen gerundeten armen. Zu diesem zweck solltest du weniger vor und zurückschaukeln als dein vorderes bein dadurch leer machen, dass du innerlich dein knie anhebts und die leiste sinken lässt.

(3) Auch wirst du merken, wie dein ellbogen automatisch diese druckfunktion übernimmt, wenn dein handgelenk mal vorbeigerollt ist, sowie schulter, rücken oder hüfte. Versuche immer einen gleichmäßigen leichten druck beizubehalten. Das kannst du u.a. daran ablesen, dass die delle an der kontaktstelle zum ball nie zu tief wird.

(4)  In diesen kontext passt auch, dass du dich darin trainieren kannst, dass dein arm zwar den kontakt mit dem ball hällt, du deinen rumpf aber ansonsten in relation zu deinem arm und dem kontakt bewegst, statt umgekehrt.

(5) Was mir bei dem oben angeführten videoclip (http://www.youtube.com/watch?v=tclEl96d4xw) übrigens aufgefallen ist: Eigentlich hat sich der "krieger, der mit einem luftballon kämpfte" von dem ball selber gar nie richtig "fordern" lassen. Um dem ball eine gewisse unberechenbarkeit zu verleihen, solltest du darum damit experimentieren, noch mehr luft herauszulassen (ich habe ja schon weiter oben bei den balanceübungen empfohlen, den ball nicht ganz prall aufzublasen).


abb. 5

ÜBUNG VI   

Um bei dem thema herausforderung durch den ball zu bleiben. Probiere doch mal die waagrechte version des auf-und-ab-wippens, was du beim sitzen auf dem ball fast automatisch machst. Spiele mit dem "peng" des balls.

(1) Experimentiere mit verschiedenen stoßrichtungen und erlaube es dem rückprall des balls, dich von den socken zu holen.

(2) Behalte die letzte stoßrichtung bei, deren rückstoß dich gut rausgepusht hat:

Verändere nun aber deine körperstruktur so, dass du eine bahn in den boden findest. Experimentiere damit, dass deine energieleitung im körper über linien der entspannung verläuft. Das kriegst du nur raus, wenn du mit fein dosierten stößen arbeitest, deren rückweg durch deinen körper bis in den boden du beobachten kannst.

 (3) Eine andere übung sieht so aus, dass du dich mit dem rumpf ganz nah an den - wie gesagt durch weniger luftdruck - relativ weichen, fließenden ball anschmiegst und dann mit der einen oder anderen hand irgendwelche stöße in den ball gibst, die ganz unberechenbare rückstöße ergeben.

Lass dich auch hier von dem ball herausfordern und suche ein körper-sein, das mit dem rückprall gut umgehen kann: sei es in form des ableitens in den boden oder aber der horizontalen neutralisierung.

(4) SIFU PEZZIBALL lehrt dich auf diese weise auch: Wenn du an einer stelle deinen druck erhöhst, gibt die fließend elastische hülle an dieser stelle nach, um sich nebenan auszubeulen (s. abb. 6). Übe dich darin, an der stelle, wo sich der ball ausbeult, nachzugeben, ohne den kontakt zu verlieren. Die lösung findest du, wenn du deine mitte bewegst, während deine arme vom rücken her eine elastische expansive druckqualität beibehalten.


abb. 6

(5) Mike Sigmans "klassische" anleitung zum PENG-training lässt sich ganz leicht auf das üben mit dem gymnastikball übertragen:
Lasse jemanden [den ball] gegen deinen unterarm pushen, dehne dabei deine schulter leicht dem druck entgegen bei entspanntem unteren rücken. Von der druckstelle an deinem unterarm solltest du einen gebogenen pfad durch deinen rücken abwärts zum hinteren bein spüren und herstellen. Lass dich zusammendrücken und weite dich nicht nach außen aus... versuche entlang dieser strecke bis zum boden so viel wie möglich zu entspannen. Mit hüfte und knie solltest du leicht wackeln können, während dein partner weiterhin den pfad zum boden spürt.
Versuche nach unten nachzugeben, während du den bodenpfad bewahrst. Ohne anspannung in schulter oder arm solltest du dich (nun) in richtung deines partners dehnen ... es ist ein entspanntes dehnen gegen seinen push.
Beachte, dass die leichte ausweitung der schulter nicht nur am leichtesten die bahnung des bodenpfads erlaubt, sondern den arm auch gleichzeitig mit dem rücken verbindet. (http://www.iay.org.uk/internal-strength/peng-index.htm
ÜBUNG VII  

Nutze schließlich noch den umstand, dass du es bei dem ball ja mit einem 3-dimensionalen objekt zu tun hast.
Schau dir noch mal den letzten POST an (http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/9-kontakt-pang.html) und versuche die dort illustrierten prozesse am ball nachzuvollziehen:
  • expansion und herausreichende extension (a.a.O., abb. 1 - 3)
  • schrittweise verschmelzung mit dem gegenspieler zu einer zeitweisen einheit (a.a.O., abb. 4)
  • gemeinsames sinken ("aufzug") ohne horizontale druckerhöhung an den kontaktpunkten (a.a.O., abb. 5)
  • öffnen und schließen (a.a.O., abb. 8 - 9)
  • usw.
)*(



abb. 7

Vor vielen jahren hatte ich bei meinem erfindungsreichen lehrer einmal die gelegenheit, zu erleben wie das ist, wenn man mit einem gymnastikball vor dem bauch pusht.

Leider ließ sich dieses nette, weiche elastische sumo-flummi-gefühl mit der damaligen realität meines körper-seins beim (ball-losen) push hands-spielen nicht wirklich in einen zusammenhang bringen. Auch wollte dieses harmlos leichte spiel zu meinem einstmaligen missverständnis des push hands als einer art sparring nicht so richtig passen. Was man eigentlich für das verständnis des PENG-JIN von SIFU PEZZIBALL lernen kann, blieb mir so leider verborgen.

)*(

ÜBUNG VIII   

Darum lass es dir und deinen übungspartner nicht entgehen, zwischendurch mal mit einem ball vor dem bauch zu pushen - nur um dir/EUCH das gefühl abzuholen, wie es sich wirklich anfühlt - ein wirklich guter push.

)*(

Aber auch wenn du im laufe deiner vieljährigen taiji-reise mehr wieder vergisst als andere je er-fahren werden, warten die wirklich wichtigen erkenntnisse im hintergrund deines gedächtnisses darauf, eines tages von dir selber "entdeckt" zu werden. Dann können sie sogar eine wahren kettenreaktion auslösen und dein lernen stark voranbringen.

Okay - darum besser spät als nie! Glücklicherweise ist einer meiner push hands-übungspartner nicht nur sehr groß, sondern hat auch einen kugelrunden bauch. Nach einem - eher zufälligen und freundlich zugelassenen - schönen weichen push gegen eben diese abdominelle rundung ... hatte ich letztes jahr plötzlich die eingebung: Um das eben erlebte gefühl zu kultivieren, brauchst du einen pezziball ... Verdammt! Wo ist mein alter sitzball...?

(c) otmar sauer, august 2010

 - - -
FUSSNOTE:
Jou Tsung Hwa betont, dass man die qualitäten von "PENG" in einem luftgefüllten ball finden könne: "So ein ball ist elastisch und federnd. Wenn du in ihn hineinstößt, reagiert er und lässt die kraft nicht in sein zentrum durch. Wenn du an der einen stelle hineinstößt, springt der ball an einer anderen stelle heraus und leitet deine kraft um. Jeder, der als kind versucht hat, auf einem strandball zu sitzen, erinnert sich, wie schnell sein gewicht umgeleitet worden war und man runtergefallen ist. Um die peng-stellung zu nutzen, musst du wie der strandball reagieren und dem gegenspieler nie gestatten, dein zentrum zu finden" (a.a.O./übers. os). Jou Tsung Hwa scheint allerdings den gymnastikball als trainingsgerät nicht gekannt zu haben, sonst hätte ein so aufgeschlossener und experimentierfreudiger kopf  zweifellos darauf rekurriert. So blieb es letztlich bei dieser analogie.



PS: Übrigends sehr empfehlenswert:
http://www.innere-kraft-64.de/newsletter_innere_kampfkuenste.htm

Dienstag, 27. Juli 2010

(9) KONTAKT & ... PANG!!!

Hi, geneigte leserin und leser!

Willkommen! Weißt du eigentlich, dass du diesen BLOG auch von vorn lesen kannst? Wenn du dazu lust hast, müsstest du beim POST-Nr. 1 vom januar 2010 beginnen (s. rechts die archivliste). Oder gehörst du sowieso eher zu den "überfliegern", die nur sporadisch ein bissel lesen? Eventuell bist du auch gerade frisch reingeschneit? Egal - willkommen sei mir jede frau und jeder mann! Und darum für alle zuerst ein kurzer serien-rückblick, "was bisher geschah...":




  • Mit dem vorliegenden beitrag schließt sich der kreis ein erstes mal und - es lebe der wandel ! - wir starten damit sogleich eine neue runde.

)*(

Mein lehrer Wilhelm Mertens hat einmal gesagt, dass IM MOMENT DES KONTAKTS bereits alles entschieden sei.

Hier kannst du nun sehen, welchen reim ich mir darauf mache (zum kontext s. POST 1-3). Also keine kommuniqués, keine plagiate, sondern nur erfahrungs-getränktes zeug. Keine theorien über "qi" oder "peng"-energie, sondern  EXPERIMENTELL überprüfbare - auch von dir überprüfbare - hypothesen und modelle.

Prozesse, die simultan oder fast simultan ablaufen, sind in der wirklichkeit manchmal total einfach und werden nur kompliziert, wenn du sie in einem linearen diskurs darstellen willst. Darum hab ich mit dem computer ein paar bildchen "gemalt" und wild mit jeder menge pfeilen und spiralen und strahlen versehen, die ich mit kommentaren etwas verständlich machen will.

)*(

Also gleich mitten rein:

abb. 1
In abb. 1 siehst du den berühmten sägemuskel am werk, den du im letzten beitrag (POST 8 http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/8-und-wie-finde-ich-die-arm-schulter.html) hast kennenlernen können.

Die kleinen blauen pfeile deuten an, dass du mit seiner unterstützung in den rücken atmen und ebenfalls mit seiner hilfe deine hände von den schulterblättern aus in den raum ausweiten kannst (große strahlen).

Die szene stellt genau den moment der kontaktaufnahme dar.

TEST

Das kannst du beim strukturtesten in verschiedenen zhan zhuang-stellungen ausprobieren - egal ob du einen oder beide arme vor dem rumpf gerundet hast - oder ob du in einer sog. "kampf"-grundstellung  wie "hände heben" oder "spiele die pipa" stehst.

Wichtig ist, dass du dich IN den moment des kontakts hinein ausweitest und dass du das vom rücken aus machst.

Probiers mal so aus. Dann mach es anders, z.B. dass du deine arme anspannst oder vollkommen nudelig lässt - und vergleiche es wieder mit dem einsatz des serratus anterior muskels.

Selbstverständlich bist du in der praxis intentional (yi) auch schon auf dem weg nach unten, zu deinen füßen und stellst den bezug her zum einen oder anderen fuß, oder beiden - je nach fußstellung und je nachdem was du ausprobierst.

Bei einem wie mir, der quasi konstitutionell auf "hit & run & run & hit" programmiert ist, hat sich mein geduldiger lehrer bald 15 jahre lang den mund fusselig gebabbelt: Nicht abhauen! Nicht weg von..., sondern hin zu... ! Deine füße sind unten, nicht hinten! usw.

Wenn du mit den 5 Loosening-Exercises nach Huang Xiangxian vertraut bist, wie sie Patrick Kelly rekonstruiert hat, dann entspricht der dargestellte moment der 1. phase der 5. Lockerung.

)*(

Okay - bevor es jetzt gleich komplexer wird, weil ich  in der nächsten szene, die reale kontaktperson - deinen "gegenspieler" - mit hineinnehme, schau dir erst noch die beiden folgenden abbildungen an:

abb. 2
abb. 3

In abb. 2 siehst du wie du deinen "qi-ball" nach allen seiten expandierst und dir die prall-elastischen eigenschaften eines mit luft gefüllten großen gymnastikballs zu eigen machst.

ÜBUNG

Den qi-ball ausweiten, ein qi-ball werden: Das ist das, was du beim zhan zhuang-stehen "energetisch" gesehen als erstes machst: Mit hilfe deiner atemkraft  öffnest du alle deine gelenke und dehnst passiv dein fasziengewebe von innen her.
.
Achte nur darauf, dass du das nicht übertreibst und deinen "qi-ball" höchstens zu 70% füllst - aus gesundheitsgründen, aber interessanterweise auch aus dynamischen gründen. Du bist kein autoreifen! Dazu in einem der nächsten POSTs mehr.

In abb. 3 spielst du so einen "qi-projizierer" oder "leere kraft-meister" oder was weiß ich. Interessiert mich an dieser stelle auch gar nicht, wo ich nicht einmal weiß, was "qi" überhaupt alles ist bzw. bedeutet. Denke am besten nicht zu viel darüber nach, sondern geh auch hier spielerisch-experimentell vor. Spiel von mir aus den jedi-ritter mit dem laser-schwert oder den samurai, dem sein meister gesagt hat: Wenn du das schwert beim hieb führst, spalte die ganze welt!

Also nicht denken, sondern DEHNEN! In den RAUM dehnen bzw. "kontaktende Hinwendung" (Volkmar Glaser, Eutonie) zu deinem interaktions-partner. Wichtig ist jedenfalls, dass du beim "strahlen" deine intention und empfindungs-achtsamkeit im raum eher linear von A nach B ausstreckst.

TEST

Ob sowas "unsubstanzielles" bei deinem gegenüber "ankommt", kannst du im kooperativen experiment mit deinen übungspartnern ausprobieren, die dir rückmeldung geben können.

CHRIS VOGEL bietet in seinem eBook "THE ART OF USING ENERGY AS TAUGHT THROUGH PUSH HANDS" jede menge übungen, bei denen nicht nur du, sondern auch dein helfender partner, instruiert werden, was genau zu tun ist. (s. http://taijifortwo.blogspot.com/2010/01/chris-vogel-die-kunst-der.html).

Das erste nennt man wie gesagt EXPANSION (abb.2) und das zweite EXTENSION (abb.3).

Expansion kommt vom lateinischen "pan-de-re" und hat die bedeutung  "ausbreiten" in alle richtungen: Gas z.B., das ein vakuum füllt, expandiert nach allen seiten.

Extension leitet sich dagegen vom lateinischen "ten-de-re" ab und hat die bedeutung dehnen, spannen, zielen, ausstrecken, anstrengen (vgl. http://www.lateinwiki.org/Hauptseite).

Diese unterscheidung ist enorm wichtig, gerade weil du bei der gestaltung des kontakts BEIDE eigenschaften benötigst. Schon in der ersten szene (abb. 1) hat das, was sich bei dir hinten in deinem rücken abspielt eher expansive qualität, während du zur weiteren gestaltung des kontakts nach vorne mehr extensive, zielende fähigkeiten brauchst.

Sicher wirst du ohne ein energetisches fundament in der qi-expansion, keine gute extension kultivieren können. Andernfalls überwiegt bei deiner intention das angestrengt-gespannt-wollende, statt das hindehnend-zielende. Und dann ist alles nix, bei der nutzung der "power ohne anstrengung" :-)))

)*(

Aber nun erst mal rein ins "handgemenge":

abb. 4
Es handelt sich wohlgemerkt immer noch um ein und denselben einatem, mit dem du bei dir nun weiter abwärts zum unteren rücken gelangst und deine lendenlordose füllst. Deren zentrum heißt im fachchinesisch übrigens "lebenstor/mingmen", welches du weit aufmachst und dehnst (s. die kleinen blauen pfeilchen und die kleine blaue spirale).

Das expansive ausfüllen deines ganzen rückens schafft die basis für die weitere extension nach vorn hinaus. Unter beibehaltung des ersten kontaktdrucks (große blaue strahlen), der nach angaben der taiji-klassiker nicht mehr als ein paar unzen betragen soll, erweiterst du deine intention immer weiter auf die ganze person (gelbe strahlen).

Das weiten deines unteren rückens ermöglicht das absenken deiner ellbogen (vgl.die FUSSNOTE in http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/8-und-wie-finde-ich-die-arm-schulter.html), sodass du nun über die ellbogen den unteren rücken deines gegenspielers erreichen kannst.

Desweiteren entwickelst du von deinem gedehnten rücken her eine umhüllende qualität der extension (dicke rote, gepunktete linie).

Deine extension verschmilzt dich mit deinem interaktionspartner zu einer einheit. Das habe ich mit der säule dargestellt (dünne schwarze, gepunktete linie).

Die qualität deines kontakts ist davon abhängig, dass du hier vom rücken her eine gleichmäßige druckqualität in den händen und armen bewahrst - ganz wie die außenhaut eines luftgefüllten gymnastikballs (auch dazu in einem späteren beitrag mehr ).

Es wird hier auch klar - wenn ich mir die nebenbemerkung erlauben darf -,  warum das schwellende peng-jin sowohl die basis des hörens als auch des klebens ist. (Vgl. hierzu Ma Yueh-liang/Zee Wen, Wu Style Taichichuan Tuishou, S. 15 f., sowie immer noch super material: Mike Sigman, http://www.iay.org.uk/internal-strength/peng-index.htm).

Du weitest dich in den binnenraum deines gegenspielers aus. Dieses spürende hören (ting jin) und klebende eindringen (nian jin) nimmt deinem gegenspieler den spielraum quasi von innen her.

Im kontext der 5. Loosening Exercise befinden wir uns bei abb. 4 übrigens in der 2. phase, die durch sinken (ins hintere bein) gekennzeichnet ist.

)*(

Weiter gehts! Keine panik, wenn es hier wegen der vielen pfeile, strahlen und spiralen ein wenig unübersichtlich zu werden scheint. Wenn du bis oben zur abb. 4  hast folgen können, so ist die folgende abb. 5  auch nicht mehr so verwirrend. Außerdem habe ich es zur evtl. erleichterung in die themen atem-verbund-sinken-entwurzeln sortiert.

Wechsle immer wieder in die BINNENPERSPEKTIVE der linken figur auf ihren interaktionspartner und den raum. Die ganzen strahlen und pfeile sind empfindungen, expansionen, extensionen, projektionen...
Denke dran, alles geschieht mehr oder weniger gleichzeitig und ist IN EINEM GEFÜHL synthetisiert.

Und wenn du es besser weißt oder darstellen kannst - und ich hege keinen zweifel daran, dass es deiner/eurer viele gibt -, machst du am besten eine bessere zeichnung und teilst sie mit anderen. Das nützt dir selber und der kunst. Du weißt ja: Kunst wird mehr und nicht weniger, wenn du sie mit anderen teilst. Das gilt für taiji nicht minder.


abb. 5
Atem:
  • Deine einatem-phase kommt hier zum ende. Dein einatem erreicht vom rücken die mitte  (blauer gepunkteter pfeil). 
  • Das dantian ist als rote spirale dargestellt. Dieses lässt du sogleich tief in den boden fallen (große rote strahlen), wenn du spürst, dass dein atem deinen unterbauch füllt.
  • Die blaue spirale ist das zwerchfell und sieht hier aus wie das fell einer trommel (s. weiter unten)
Verbund:
  • Durch gestaltung der verbindung zu deinem gegenspieler bist du mit diesem zu einer einheit verschmolzen (vgl. abb. 4). Das habe ich mit den dünnen, schwarzen gepunkteten linien (säule) angedeutet, sowie mit den großen blauen und gelben strahlen und der horizontalen, roten gepunkteten linie.
Sinken:
  • Stell dir vor, besagte säule ist ein aufzug, in dem du zusammen mit deinem interaktionspartner stehst. 
  • Mit dem fährst du nun in einem hochhaus ein oder mehrere stockwerke tiefer (dicker schwarzer pfeil). 
  • Das geschieht simultan mit dem bereits erwähnten vorgang, dass du dein dantian tief in den boden fallen lässt (große rote strahlen). 
  • Keinesfalls in die knie gehen dabei! Soweit es über ein inneres sinken hinaus ein äußeres ist, beginne immer mit dem falten der leiste statt der knie (vgl. erläuterung zu schritt II in http://taijifortwo.blogspot.com/2010/07/7-eine-effektive-methode-deinen-bauch.html).

Selbstverständlich nutzt du für euren aufzug nach unten auch noch die (attackierende) energie deines gegenspielers. Mit hilfe deiner strukturarbeit beim zhan zhuang hast du ja gelernt, einen auf dich ausgeübten horizontalen druck in vertikalen druck zu übersetzen.

Alles "steht und fällt" jetzt übrigens damit, dass du hier - außer dem weiter oben beschriebenen elastischen, hörenden und klebenden kontakt- und verbindungsdruck - KEINERLEI zusätzlichen HORIZONTALEN druck oder zug auf deinen interaktionspartner ausübst!!! Andernfalls machst du besagtes "einheits-säulen-aufzugs"-setting sofort zunichte. Das - genau das (!) - ist hier das einfache, was so schwer ist und was wir noch ganz, ganz viel üben müssen ... wollen ... dürfen :-))).
    Entwurzeln
    • Du weißt doch, wie man eine karotte aus der erde holt. Oder? Auf keinen fall ziehen, sonst hast du nur das kraut in der hand. Die wurzel brichst du dadurch, dass du die möhre erst nach unten drückst und dann nach oben aus dem boden schüttelst (vgl. taiji-klassiker: Willst du entwurzeln - musst lockernd du und lösend - nach unten stoßen)
    • Dasselbe hast du nun mit den füßen deines gegenspielers gemacht (große rote, gepunktete pfeile). 
    • Je nach dem, was für lücken sich deinem gespür erschlossen haben (grünes fragezeichen), kannst du nun zum nächsten schritt übergehen und den lift nach oben fahren lassen (s. hierzu unten den ANHANG).

    Im referenzrahmen der 5. Lockerung nach Huang/Kelly sind wir jetzt bei phase 3: kompression und gehen nun zu phase 4, der energieabgabe, über.

    )*(

    Ja, was nun folgt, ist von den spezifischen umständen abhängig und sieht so oder ähnlich aus:

    abb. 6
    Dein unterbauch ist jetzt vom rücken her mit deinem einatem gefüllt. Das fell der trommel ist gespannt oder vergleiche es mit der sprungmatte eines trampolins (s. abb.5).

    Dein ausatem spielt hier eine rolle wie das werfen der münze auf die trommel (wie es im Lied vom Push Hands heißt). Oder wie der sprung in ein trampolin.

    Und dann macht es "PANG", wenn die spannung des trommelfells die entsprechende qualität hat.
    Ist das durchmesser der trommel klein und das fell sehr stark gespannt, macht es "päng" und nicht "PANG". Päng wäre ein "kurzes jin" und PANG eben ein "langes".

    Diese expansionswelle ihrerseits, die sich vom dantian in alle richtungen ausbreitet, löst an den füßen die BODENREAKTIONSKRAFT aus. 

    DIESE erst gibt deinem weiteren, leicht zur brust aufsteigenden ausatem den backup und die überholend-überschießende power, die sich in armen und händen manifestiert.

    Wenn du es aus der perspektive des gepushten betrachtest:

    • Am übergang von der kompressionsphase zur phase der energieabgabe (deines partners) müsste es unter deinen füßen zuerst ganz "wolkig"  geworden sein und in dir so ein beschwingt-torkelndes gefühl aufsteigen.
    • An deinen fußsohlen, den "sprudelnden quellen" (yongquan), stecken deine wurzeln jetzt eben nicht mehr tief in der erde, sondern "es sprudelt" da wortwörtlich.
    • Zuerst spürst du deine entwurzelung, und dann macht es auch schon PANG.


    Falls dein gegenspieler dich vorher nicht entwurzelt hat und deine wurzel erst mit der energieabgabe bricht, macht es auch nicht PANG, sondern eher päng.

    )*(

    ANHANG: WERKSTATT-NOTIZEN

    Wilhelm Mertens betont, dass "es" (verortet am ende der kompressionsphase) erst im gegenspieler aufsteigen muss, bevor du pushst.

    Es gibt verschiedene konzeptionen und akzentuierungen, wie du als pusher diese aufsteigende qualität in dir erzeugst und nach dem prinzip der kommunizierenden röhren in deinem inter-aktions-partner manifestierst.

    abb. 7

    Hier (abb. 7) siehst du ein modell der berühmten Heng-Ha-Atmung - dem "geheimen" taiji-qigong der Yang-familie, das vor vielen jahren bereits von Chen Yen-lin veröffentlicht worden ist (s. Jou Tsung Hwa, The Tao Of Tai Chi Chuan, m.E. übrigens besser als Stuart Olson, Das Qi pflegen). 

    Das modell erinnert dich vielleicht an den "kleinen energie-kreislauf", nur ist hier die fließrichtung umgekehrt ebenso wie die atmung. Ist gar nicht so schwer, wenn du es leicht und sanft angehst. Und am besten sogar weit unterhalb der 70% marke bleibst.

    Geh selbstverantwortlich und achtsam mit dir um. Am besten du ziehst jemand zu rate, der wirklich was davon versteht. Und wenn du es allein probieren willst, lass dir viel zeit und bereite dich lieber vor mit singen oder didgeridoo blasen, als dich selber wie einen reifen aufzupumpen (darüber in einem nächsten Post mehr).
     
    Die Heng-Ha-atmung lässt sich mit folgender vorstellung kombinieren:

    abb. 8
    abb. 9
    TEST

    Du ziehst alles zum dantian (abb.8: HENG) und expandierst wieder (abb.9: HA). Mit den blauen, gelben und roten pfeilen sind verschiedene intensitätsstufen markiert: Du kannst damit beginnen, die hüft- und schultergelenke zum dantian zu beziehen und wieder zu expandieren, und im weiteren knie und ellbogen, sowie füße und hände einbeziehen.

    Diese übung kannst du in deine steh-übung ebenso einbringen wie in dein formenlaufen (s. hierzu viele anregungen auf Mark Cohens BLOG: http://nineheavenchigung.blogspot.com/)

    Ähnliche übungen sind auch als körper-, haut- oder knochenatmung bekannt (vgl. etwa Mantak Chia, u.a.)

    Dabei vereinigst du automatisch deinen, den rücken abwärtssinkenden "atem" (abb. 7) mit deiner vom beckenboden hochgezogenen energie (abb. 8). Das ist die kombination von "nachgeburtlichem" und "vorgeburtlichem" qi - wie es bei den daoisten heißt (vgl. Jou, a.a.O., S. 126 f.).

    TEST 

    In schrittposition bei klarer unterscheidung in der gewichtung ergibt sich während der HENG-einatem-phase automatisch ein aufsteigen im leeren bein bei erhöhung der kompression im gesetzten.

    Sofern die oben ausführlich geschilderte und illustrierte kontakt- und verbindungsqualität funktioniert, kannst du dich selber dabei mit der absinkenden energie und deinen interaktions-partner mit der aufsteigenden energie verbinden ---.

    Falls du mit solchen fortgeschritteneren praktiken des taiji-qigong vertraut bist, kannst du das ja mal antesten. Aber sachte und immer nur ganz wenige wiederholungen - antesten eben. Nicht feste üben, sondern ab und an mal ausprobieren.


    )*(

    Das ganze funktioniert in einem ein-aus-atemzug oder - wie es im taiji-klassiker heißt: "Gesamt soll es in einem qi vollendet sein" (zit. nach Rainer Landmann, Taijiquan).

    )*(

    Es wird dir womöglich auch ein weiteres auffallen:  In der  phase, da sich die kompressionsphase ihrem höhepunkt nähert, kommt es automatisch zu einer vertikalen ausrichtung des beckens. Eben, wenn der HENG-einatem vom rücken zur beckenmitte, vom mingmen zum dantian strömt (s. abb. 7 & 8).

    Mehr eine momentaufnahme, eher eine wandlungsposition des qualitativen umschlagens, statt eine habituell gehaltene position oder gar "haltung" irgendeiner "rückenschulung". So viel noch zum thema "becken kippen/tuck under" (vgl. http://taijifortwo.blogspot.com/2010/06/6-uber-gunstige-und-ungunstige.html)


    )*(

    Selbstverständlich ist es von deiner erfahrung abhängig, wie sauber du bei diesen prozessen die bahnen des sinkens und steigens "legst". Wilhelm Mertens vertritt zum beispiel ein modell, das eher am "großen energie-kreislauf" als am kleinen orientiert zu sein scheint (s. abb.10, soweit ich das verstanden habe) und das mit z.T. simultanen sink-und steigprozessen arbeitet.

    abb. 10

    Mit "Mut zum Unvollkommenen" (Horst Tiwald, http://www.tiwald.com/wisstexte/buch_manuskripte/buch_psychotraining10.pdf ) begnüge ich mich allerdings vorerst mit dem oben dargestellten, etwas einfacher gestrickten modell.

    Wohl wissend, dass es da noch mehr gibt. Und mit der zuversicht, dass sich der kleine energie-kreislauf zum großen erweitern lässt.
     
    Dazu sollte man aber die übung des simultanen sinkens und steigens, die in der 2. Lockerungsübung nach Huang/Kelly ja vorgeübt wird, auch IN DER KONKRETEN INTER-AKTION erst einmal beherrschen. Da sind wir allerdings noch "ein kleines stück weit" :-))) entfernt.

    Eines wird mir aber immer klarer: Push hands ist nix anderes als angewandtes qigong und peng-jin ist sein qi. Peng ist "eine versteckte kraft, weil sie in erster linie durch sensitivität und handwerkliche fertigkeit erzeugt wird" (Ma Yueliang, übers. os).


    (c) otmar sauer, 28. juli 2010





    PS: Übrigends sehr empfehlenswert:
    http://www.innere-kraft-64.de/